Der Vorgang des Gewichtmachens gehört seit Jahrzehnten zu den prägenden Mechaniken des Kampfsports: Athleten reduzieren in kurzer Zeit Körpermasse, häufig durch Dehydration, um in einer niedrigeren Gewichtsklasse anzutreten und sich dadurch einen vermeintlichen Größenvorteil im Wettkampf zu verschaffen. Diese Praxis ist tief verwurzelt, doch sie steht seit langem im Spannungsfeld zwischen sportlicher Taktik, Leistungsfähigkeit und medizinischer Sicherheit.
Inhaltsverzeichnis
In der Praxis reicht das Spektrum der Maßnahmen vom moderaten Reduzieren von Kalorien und Salz über kontrollierte Flüssigkeitsreduktion bis hin zu drastischen technisch unterstützten Formen wie mehrtägige Saunagänge, Schwitzanzüge oder eingeschränkte Flüssigkeitszufuhr unmittelbar vor der Waage. Die kurzfristig verlorene Masse besteht zu einem sehr großen Teil aus Wasser. Nach der offiziellen Gewichtskontrolle erfolgt in der Regel eine gezielte Rehydrierung und Nahrungszufuhr, sodass Athleten bei Kampfbeginn häufig deutlich schwerer sind als zum Wiegen.
Quantitative Untersuchungen zeigen, dass Profi-MMA-Kämpfer typischerweise mehrere Prozent ihres Körpergewichts in den Tagen vor der Waage verlieren und danach oft noch einmal deutlich an Masse zulegen. Diese Dynamik birgt physiologische Risiken (z. B. Elektrolytstörungen, Nierenbelastung, reduzierte kognitive und kardiovaskuläre Leistungsfähigkeit), steht aber auch im Schatten widersprüchlicher Befunde zur unmittelbaren Leistungswirkung – einzelne Metaanalysen zeigen geringe bis keine Einbußen in bestimmten Leistungsparametern, andere Untersuchungen weisen auf relevante Nachteile hin.
ONE Championship hat seit Mitte der 2010er Jahre einen grundlegend anderen Ansatz propagiert und sukzessive operationalisiert.
Kernpunkte sind:
Hydrationskontrolle statt reiner Waage: Athleten müssen sich vor und während der Wettkampfwoche wiederholten Hydrationstests (typischerweise Urin-Spezifisches-Gewicht / urine specific gravity) unterziehen. Nur bei bestandener Hydrationskontrolle ist ein offizielles Wiegen möglich. Diese Prozedur zielt darauf ab, Dehydration als Mittel des Gewichtmachens zu unterbinden.
Mehrtägige Gewichtskontrollen: ONE führt während der Kampfwoche wiederholte Gewichtskontrollen durch – nicht nur die traditionelle Einzelmessung kurz vor dem Event.
105-%-Regel / Post-Fight-Kontrollen: Um ein „Gaming“ der Hydrationsmessung zu verhindern (z. B. kurzfristiges Rehydrieren vor dem Test und anschließendes Wieder-Dehydrieren), hat ONE zusätzliche Vorgaben wie eine relative Obergrenze nach oder vor dem Kampf implementiert (z. B. das 105-Prozent-Limit des jeweils leichteren Gegners) sowie Nachkontrollen eingeführt. Ebenso sind intrusive Maßnahmen wie intravenöse Flüssigkeitsgaben und Sauna-Anwendungen untersagt. Diese Elemente sind inzwischen in formellen Regelsätzen dokumentiert.
Die Intention hinter diesem System ist klar: die Förderung von Athletenwohlfahrt und Reduktion potenziell lebensgefährlicher Dehydrationspraktiken. Praxis und Umsetzung erzeugen jedoch logistische und rechtliche Herausforderungen — etwa hinsichtlich der Zuverlässigkeit von Urin-Tests, der erforderlichen Infrastruktur und der internationalen Anerkennung durch Sport-Kommissionen. Aktuelle ONE-Verlautbarungen und Veranstaltungs-Weigh-In-Berichte zeigen, dass die Organisation an diesem Modell festhält und es kontinuierlich anpasst.
ONE World Champion Stella "Always Hungry" Hemetsberger. Bildquelle: https://www.instagram.com/p/DOQAoSkjCjs/
Die Ultimate Fighting Championship (UFC) operiert überwiegend innerhalb des etablierten Regulierungsrahmens der jeweiligen Athletic Commissions (z. B. Nevada, California), weshalb die Prozeduren länderspezifisch variieren, aber ein gemeinsamer Befund besteht:
Wiegen am Vortag: Üblicherweise findet das offizielle Wiegen am Tag vor der Veranstaltung statt (mit variierenden Zeitfenstern, je nach Commission). Diese Praxis erlaubt – und fördert de facto – kurzfristige Flüssigkeitsreduktion und anschließende Rehydrierung vor dem Kampf.
Disziplinarische Sanktionen bei Überschreitung: Wird das Vertragsgewicht nicht erzielt, drohen Geldstrafen, Teilabgaben der Börse an den Gegner, Rückstufung in Catchweight oder im Extremfall Bout-Absagen. Beispiele aus aktuellen Wochen zeigen, dass Gewichtsverfehlungen in der UFC noch immer regelmäßig vorkommen und sanktioniert werden.
Kommissionelle Initiativen: Einzelne Athletic Commissions diskutieren oder testen alternative Verfahren (z. B. frühere Wiegezeiten, zusätzliche Kontrollen am Kampftag), doch eine einheitliche, branchenweite Umstellung wie bei ONE ist in den USA nicht verwirklicht. Die Regeln sind heterogen. Die Nevada-Regeln geben z. B. formale Rahmenbedingungen für Anwesenheit von Kommissionsvertretern und Prozeduren vor.
In der Summe ist das UFC-Modell konservativer in seiner Struktur, erlaubt aber durch den 24-Stunden-Zeitpuffer weiterhin intensive kurzfristige Gewichtsmanipulationen, die Athleten taktisch nutzen — zulasten erhöhter medizinischer Überwachungsnotwendigkeit.
UFC-Fighter Aleksandar "Rocket" Rakic. Bildquelle: https://www.instagram.com/p/DBn6UWuSp3g/
ONE Championship:
UFC:
Die wissenschaftliche Literatur zeichnet ein nuanciertes Bild: Rapid Weight Loss (RWL) ist weit verbreitet und kann akute Risiken (Dehydration, Elektrolytstörungen, Nierenbelastung, verminderte kognitive Funktion) nach sich ziehen. Systematische Übersichten und Metaanalysen differenzieren jedoch nach Magnitude und Zeitspanne der Gewichtsreduktion – moderate, gut geplante Reduktionen scheinen weniger nachteilhaft als extreme, hastige Protokolle.
Gleichzeitig belegen Feldstudien, dass Profi-MMA-Athleten im Durchschnitt beträchtliche Anteile ihres Körpergewichts innerhalb von wenigen Tagen verlieren und anschließend wieder zunehmen, was das Potential für unerwünschte physiologische Folgen erhöht. Daher sehen zahlreiche Experten in einem hydrationsbasierten oder zeitlich engeren Kontrollmodell eine mögliche Reduktion von Risiken.
Planung über Wochen statt Tage: Langfristige Gewichtssteuerung (Körperzusammensetzung, Periodisierung) reduziert die Notwendigkeit extremer kurzfristiger Dehydration.
Professionelle Begleitung: Ernährungsberatung, Monitoring von Elektrolyten und Hydrationsstatus sowie medizinische Supervision minimieren Risiken.
Moderation des Rapid Weight Loss: Wenn Reduktion notwendig, sollte sie schrittweise erfolgen. Akute Dehydration unmittelbar vor der Waage ist kontraindiziert.
Rehydrationsstrategie: Evidenzbasierte, schrittweise Rehydration und Nährstoffzufuhr in der Zeit zwischen Wiegen und Kampf sind entscheidend, um Leistungseinbußen zu minimieren.
Athleten versuchen dadurch, in eine niedrigere Gewichtsklasse zu gelangen. Ziel ist es, beim Kampf schwerer und physisch überlegen zu sein als der Gegner, der im selben Limit antritt.
UFC: Klassisches Wiegen ca. 24 Stunden vor dem Kampf. Kämpfer reduzieren meist kurzfristig Flüssigkeit, um das Gewicht zu schaffen und rehydrieren danach.
ONE Championship: Wiederholte Gewichtskontrollen und verpflichtende Hydrationstests während der gesamten Kampfwoche. Dehydration ist verboten und es gelten zusätzliche Limits (z. B. die 105-%-Regel).
Dehydration kann zu Elektrolytstörungen, Kreislaufproblemen, Nierenbelastung, verringerter kognitiver Leistungsfähigkeit und im Extremfall zu lebensbedrohlichen Zuständen führen.
UFC: Geldstrafen, Abgabe eines Anteils der Gage an den Gegner, Kampf als Catchweight oder Absage.
ONE Championship: Nicht bestandene Hydrationstests oder Gewichtskontrollen führen zur Disqualifikation vom Kampf.
Es reduziert den Anreiz für riskante Dehydrationsmethoden und gilt als medizinisch sinnvoller. Dennoch erfordert es strenge Organisation, kontinuierliche Tests und Akzeptanz durch die Athleten.
Der Gegensatz zwischen dem ONE-Modell (Hydrationsprüfungen, mehrtägige Kontrollen, 105-%-Regeln) und dem klassischen UFC/Commission-Modell (Vortagswaage, gewichtsbasierte Kontrollen) ist mehr als eine formalistische Nuance: Er reflektiert unterschiedliche Antworten auf dieselbe Herausforderung — wie vermeidet man gesundheitsschädliche Gewichtsmethoden, ohne die sportliche Integrität oder die Praktikabilität zu opfern.
Wissenschaft und Praxis weisen darauf hin, dass eine weniger dehydrationsaffine Methodik medizinisch sinnvoll ist. Logistische und regulatorische Hindernisse limitieren jedoch die schnelle Adoption. Die sicherste Perspektive für Athleten bleibt eine evidenzbasierte, vom medizinischen Team begleitete Gewichtskontrolle und ein bewusstes Management der Wettkampfvorbereitung.
ONE Championship — Offizielle Informationen zu Wiegen und Hydration. ONE Championship
ONE Fight Night 35 — Weigh-Ins and Hydration Tests (ONE News, Sep 4, 2025). ONE Championship
ONE Championship announces new weigh-in program (MMAFighting, Dek 23, 2015). MMA Fighting
Vollständiger „ONE Championship Global Ruleset“ (Colorado-Genehmigung / Dokumentation). Combat Sports Law
Understanding UFC weight classes and weigh-ins (UFC Official, May 28, 2024). ufc.com
Barley, O. R. et al., „The Current State of Weight-Cutting in Combat Sports“ — Übersicht zum Thema (PMC). PMC
Peacock, C. A. et al., „Weight Loss and Competition Weight in Ultimate Fighting…“ (2022) — Messung typischer Gewichtsänderungen bei MMA-Athleten. PMC
Reale, R. et al., „Acute Weight Management in Combat Sports“ (GSSI Sports-Science Exchange) — praktische Erholungs- und Rehydratationsstrategien. Gatorade Sports Science Institute
Beispiele zu aktuellen UFC-Weigh-Ins und Gewichtsmissings (MMA Fighting / MMA-Reporting 2024–2025). MMA Fighting